5. Widerstand bricht zusammen

Bürgervorsteher-Kollegium Hannover. Mehrheit NSDAP-Fraktion Rathaus Hannover. Arthur Menge, Heinrich Müller, Berthold Karwahne. Überfall Gewerkschaftshaus Hannover. 1. Mai Hannover.

1. Mai 1934: 200.000 Hannoveranerinnen und Hannoveraner marschieren „ohne Klassenunterschiede“ durch die festlich geschmückte Stadt über Georgstraße/Ecke Große Packhofstraße zum Hindenburg-Stadion (heute Eilenriedestadion ). (1)


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Am 30. Januar 1933 wendete sich die Politik in Deutschland dramatisch. Der Parteiführer der NSDAP Adolf Hitler wurde zum Reichskanzler ernannt. Sofort setzte sein Parteifreund Hermann Göring als Reichskommissar für das preußische Innenmini-sterium leitende Beamte in Hannover ab: der Polizeipräsident Erwin Barth (SPD) wurde am 13. Februar beurlaubt und am 16.  Febr. durch SA-Obergruppenführer Viktor Lutze ersetzt. Den Posten des sozialdemokratischen  Oberpräsidenten (Aufgabe: Kontrolle der Verwaltung) Gustav Noske übernahm am 11. Februar 1933 ebenfalls ->Viktor Lutze.

Vertreibung der legal gewählten Abgeordneten. SPD = Marxisten.  „Juden haben keinen Zutritt“, Wahlkampf-Anzeige in der Niedersächsischen Tageszeitung vom 7. März 1933. (2)

„Stürmt die Rathäuser“!
Dennoch erzielte bei  den Kommunalwahlen am 12. März die NSDAP „nur“ 41,9%, die SPD 32,6 %, die deutschnationale Kampffront „Schwarz-Weiß-Rot“ 8,9%, die KPD 6,5%, das Zentrum 4%, andere      3,9 %.  Zur ersten Sitzung des neu gewählten Bürgervorsteher-Kollegiums – wie der Stadtrat damals hieß - wurden die bereits verhafteten KPD-Abgeordneten nicht eingeladen.

Stürmt die Rathäuser, NTZ, 27.3. 1933. Provinzial-Landtag aufgelöst, NZT, 12. April 1933. (3)

Von den 25 gewählten SPD-Abgeordneten erschienen nur 19. Die Abgeordneten von „Schwarz-Weiß-Rot“ und anderer konservativer Splitterparteien schlossen sich der NSDAP-Fraktion an - damit hatte die NSDAP die absolute Mehrheit im Stadtparlament von Hannover.

Einzug der NSDAP-Fraktion ins Neue Rathaus am 6. April 1933. (4)

Oberbürgermeister Arthur Menge, parteilos, und Bürger-meister ->Heinrich Mülller, NSDAP, bei der Amtseinführung Müllers am 27.4.33.(5) 

Am 26. April 1933 folgte der letzte Schritt: die Entmachtung  des „Stadtrats“. Seine Befugnisse  übernahm  ein Hauptausschuss, der sich überwiegend aus NSDAP-Mitgliedern zusammensetzte. Vorsitzender war nicht mehr Heinrich Müller, sondern der NS-Reichstagsabgeordnete ->Berthold Karwahne.  Die NSDAP hatte nun im hannoverschen Rathaus freie Hand.


NTZ, 26. April 1933.(7)



Bürgervorsteher-Fraktion der NSDAP in Hannover. 1. Reihe:  3.v.l. Heinrich Müller, 4.v.l  Berthold Karwahne. (6)

Viktor Lutze, Oberpräsident von Hannover seit 11.2.1933,  gab sein Amt des  Polizeipräsidenten von Hannover  an den Parteigenosse Johann Habben ab,  Regierungspräsident wurde Verwaltungsjurist. Dr. Ulrich Stapenhorst.(8)

Posten für „Alte Kämpfer“
1933 hatte Hannover 442.795 Einwohner und damit eine große Stadtverwaltung. Erst wenn die Stadtverwaltung einer Großstadt wie Hannover  für den  neuen nationalsozialistischen Staat gewonnen werden konnte und Gegner ausgeschaltet waren, galt die „Machtergreifung“ in den Augen der Nazis als komplett. 

Geschickt verkündeten die Nationalsozialisten das ->„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“  am  7. April 1933.  Es ermöglichte, politische Gegner und jüdische Mitbürger unter den 7.300 Beamten, Angestellten und Arbeitern aus der Stadtverwaltung zu entfernen.  Gegen 485 Bedienstete leiteten die Nazis in Hannover Verfahren ein, 192 Beamte, Angestellte und Arbeiter  wurden entlassen = 4%.
Dafür stellte die NSDAP-Mehrheit 811 „alte Kämpfer“  überwiegend  als Arbeiter ein – Männer, die sich in der SA bewährt hatten. Allerdings mussten 1934  fünfzig „Alte Kämpfer“ wegen krimineller Vergehen entlassen werden.

„Alte Kämpfer“: SA-Standarte „Hannover“ marschiert zum Reichsparteitag in Nürnberg 1927. (9)

Viele Beamte und Angestellte wollten in  „vorauseilendem Gehorsam“  ihre Loyalität zu den neuen Machthabern beweisen. Sie unterschrieben bereits im März 1933 einen  Aufnahmeantrag in die NSDAP  – und wurden als  „Märzgefallene“ belächelt. (10)



Überfall auf die rote „Mordzentrale“
Das Gewerkschaftshaus in der Nikolaistraße/Odeonstraße/Artilleriestraße war den Nazis ein Dorn im Auge. Hier konzentrierte sich, was als „marxistische und volksfeindliche rote Mordzentrale“  diffamiert wurde: der Parteivorstand der SPD, die Redaktion der Zeitung „Volkswille“, die Leitungen der Gewerkschaften, Arbeiterwohlfahrt, Volksfürsorge, Arbeiter-Jugend  und viele weitere Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeiterbewegung. Hitler-Jungen und SA-Männer zertrümmerten immer wieder Fensterscheiben, ein SA-Sturm aus der Altstadt überfiel das Gewerkschaftshaus am 16. Juni 1932.

 

 

 

 

 

 

 

 

Partei-und Gewerkschaftshaus Nicolaistraße 7, Postkarte ca. 1920

Die 12. SS-Standarte stürmte und besetzte am 1.4. 1933 das Gewerkschaftshaus in Hannover. (11)

Am 1. April 1933 stürmten bewaffnete Männer der 12. SS-Standarte unter Sturmbannführer Meyer das Gebäude, traten die Türen ein, warfen Akten aus dem Fenster und schlugen alles kurz und klein. Auf dem Dach hissten die SS-Männer die Hakenkreuzfahne, die rote SPD-Fahne verbrannten sie auf der Straße. Die Angestellten und  Gewerkschaftsfunktionäre wurden teilweise verprügelt und nach Waffen durchsucht. Obwohl das Nazi-Hetzblatt „Niedersächsische Tageszeitung“ (NTZ) „von Aufsehen erregenden Waffenfunden" berichtete, fanden sich  lediglich 1 Gewehr, 3 Revolver, 4 Eierhandgranaten in den Gewerkschaftsräumen. 25 Personen wurden von der SS in „Polizeihaft“ genommen.

Die einzigen politischen Institutionen, die in Hannover noch breiten Widerstand leisten konnten,  waren zerschlagen. (12) (13)

 

"Abschiedsgruß" der Niederdeutschen Zeitung 31.12.1933. (21)

Die NTZ beherrschte den Zeitungsmarkt in Hannover. In knapp 7 Monaten waren die übrig gebliebenen Tageszeitungen „Hannoverscher Anzeiger“ (Verleger A. Madsack), Hannoversches Tageblatt, Niederdeutsche Zeitung, Hannoverscher Kurier, Hannoversche Landeszeitung, Hannoversche Volkszeitung freiwillig oder gezwungenermaßen (Drohung des Erscheinungsverbots, hohe Geldstrafen) gleichgeschaltet.



Das Propagandaministerium in  Berlin gab täglich jeder Zeitung vor, welche Formulierung an welchem Platz zu erscheinen hatte. Kritische Meinungen in der Presse gab es nicht mehr. (14)

Kiosk am Adolf-Hitler-Platz (neben Opernhaus). Die Niedersächsische Tageszeitung (NTZ) war wichtigstes Propaganda-Blatt  der Nazis in Hannover.(15)

Die Nazis dienten sich den Arbeitern an
Nur wenige Arbeiter hatten die NSDAP  gewählt. Die NSDAP warb deshalb umso heftiger um sie und machte ihnen „Geschenke“:
Sie führten den seit 1919 von den Arbeitnehmern geforderten 1. Mai  als „Tag der nationalen Arbeit“  und bezahlten  Feiertag  mit großem Propagandaaufwand 1933 ein.
Sie werteten die Handarbeit auf und stellten die Arbeiter sprachlich den Angestellten gleich: „Arbeiter  der Faust und Arbeiter der Stirn“.  In  der neuen Volksgemeinschaft sollte gezeigt werden, dass Arm und Reich dieselbe Verpflegung teilen – es wurde  auch deshalb der „Eintopf-Sonntag“ für alle  propagiert.

Marsch der SA in der Königstraße am 1.Mai 1933 - dem neuen Tag der "nationalen Arbeit". (16)

Arbeiter im "roten Linden" verhafteten Nazi-Gegner
Arbeiter ohne Job  am unteren Ende der sozialen Skala erhofften sich Anerkennung und Aufstiegs-Chancen, indem sie die Seiten wechselten. Augenzeugen berichteten: „Von den Kommunistischen (Musik-)Kapellen, die vor dem 30.Januar 1933 durch die Straßen des roten Lindens  gezogen waren, traf man Männer wieder, die in SA- Uniformen durch die Straßen gingen und Nazigegner verhafteten“ (17)
Teile der Arbeiterschaft liefen zu den neuen Machthabern über. Der Widerstand brach zusammen. (18)

Schon im Sommer 1933 bekannten sich hannoversche Urlauber öffentlich zum Nationalsozialismus. Im Ostseebad Sellin auf Rügen präsentierten SA-Leute auf der Strandburg das Hoheitszeichen der hannoverschen SA-Standarte 412 aus Steinen und Muscheln. (20)



Auf einen Blick:

Entmachtung des „Stadtrats“ in Hannover.  
Die Gewerkschaftszentrale wird besetzt.  
Gleichschaltung der Zeitungen zur einheitlichen Berichterstattung.
 KPD-Mitglieder laufen zur SA über.  
Die Nazis dienen sich den Arbeitern an.